Hauptstadt und Diktatur von Harald Bodenschatz
Anlässlich des 70. Geburtstags von Harald Bodenschatz eröffnet der Werkbund Berlin am 2.09.2016 um 19 Uhr in der Werkbund Galerie, Goethestraße 13, die Ausstellung „Hauptstadt und Diktatur“ mit 20 Fotos von Harald Bodenschatz. Das gleichnamige Buch mit Beiträgen von Thomas Flierl, Tilman Harlander, Christian von Oppen und Max Welch Guerra wird zur Eröffnung vorliegen.
Städtebau spielte eine bis heute unterschätzte Rolle für die europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts: Er diente der Legitimation der Herrschaft, der Produktion von Zustimmung, der Demonstration von Stärke, Effizienz und Schnelligkeit, er untersetzte die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung, er vermittelte das gesellschaftspolitische Programm im Inland wie Ausland, und er mobilisierte alte wie neue Fachleute. In allen Diktaturen stand der Städtebau für die Hauptstadt an erster Stelle. Die Hauptstadt diente als Schaufenster nach Innen wie Außen. Hier konzentrierten sich die wichtigsten städtebaulichen Projekte und großen Planungen, hier ballten sich nicht nur die Institutionen der Diktatur, sondern auch die einflussreichsten Architekten und Städtebauer. Hier waren Änderungen der Rahmenbedingungen besonders schnell fühlbar. Die großen Pläne und Projekte in den Hauptstädten galten als Vorbild für das ganze Land. In der Hauptstadt wurde das gesellschaftspolitische Projekt einer Diktatur sichtbar gemacht, der Inhalt dieses Projekts wie auch die Fähigkeit, ein solches Projekt effektiv umzusetzen. Mit dem Fall der Diktaturen war deren Städtebau nicht vom Tisch, im Gegenteil, er bewegt Europa bis heute. Diktatorischer Städtebau wurde zum Gegenstand von Strategien des baulichen wie medialen Umgangs – des Abrisses, der Transformation, der Rekonstruktion, des Vergessens, des Verdrängens, der Neuinterpretation wie der Verherrlichung. Der Städtebau der Diktaturen erfordert daher auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte der Verarbeitung des diktatorischen Städtebaus. Die aktuellen Diskussionen sind nolens volens immer in den aktuellen Stand der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Diktaturen eingebettet, sie spiegeln unsere zeitgenössische Kultur wider.
Die in der Ausstellung gezeigten Fotos folgen keiner strengen Systematik. Sie verweisen jedoch auf ein vielschichtiges Verständnis von Städtebau und Diktatur: Neben realisierten oder zerstörten städtebaulichen Formen sowie Gebäuden, Gebäudedetails und öffentlichen Räumen von städtebaulicher Bedeutung werden auch gesellschaftliche Programme, Projekte, Ausstellungen und Medien angesprochen, die dem Städtebau der Diktaturen dienten oder diesen befeuerten, ebenso Akteure und Adressaten, nicht zuletzt auch Wirkungen, Wertungen und bauliche wie künstlerische Umgangsformen bis heute. Dabei zeigen sich immer wieder internationale Zusammenhänge: Städtebau und Diktatur – das ist nicht nur und nicht in erster Linie ein nationales Thema. Die Bilder sprechen nicht immer für sich, sie verbergen oft ihre Hintergründe, die erst in Worten deutlicher werden. Alle Fotos sind in den letzten sieben Jahren im Kontext der Forschungen zum Städtebau in der stalinistischen Sowjetunion, im faschistischen Italien, im franquistischen Spanien, in Salazars Portugal und nicht zuletzt im nationalsozialistischen Deutschland entstanden.