Weimar. Modellstadt der Moderne?
Weimar ist nicht nur die Stadt der deutschen Klassik, sondern auch eine Stadt der Moderne. Moderne wird in Wissenschaft und Öffentlichkeit freilich höchst unterschiedlich verstanden. Mit dem Programm einer »Topographie der Moderne« plädiert die Klassik Stiftung Weimar für ein breites, komplexes und der historischen Entwicklung angemessenes Verständnis der Moderne des 20. Jahrhunderts. In diesem Sinne umfasst die Moderne in Weimar nicht nur die große Zeit des frühen Bauhauses in den Jahren einer hart umkämpften Demokratie, sondern auch umstrittene moderne Kunst oder Projekte und Bauten der beiden äußerst unterschiedlichen Diktaturen auf deutschem Boden. Die Moderne verkörpert Vorbilder wie Schreckbilder und ist nicht auf einen Stil beschränkt. Weimar war auch in städtebaulicher Hinsicht im 20. Jahrhundert eine – äußerst widersprüchliche - Modellstadt der Moderne. In der frühen Weimarer Republik verstand das Bauhaus seine Ideen für eine neue Stadt als ein Modell für die Welt, in der späten Weimarer Republik war das »Kulturprojekt« samt Weimarhalle ein Modell für Deutschland. In der nationalsozialistischen Ära war das erste und einzige auch gebaute »Gauforum«, zusammen mit einem Zentrum der Zwangsarbeit und einem Konzentrationslager, ein mörderisches Herrschaftsmodell für Deutschland und Europa. In der DDR-Zeit war Weimar ein Modell für den Umgang des sozialistischen Staates mit dem harten städtebaulichen Erbe der NS-Zeit.
m Umfeld des Neubaus für das Bauhaus-Museum konzentriert sich Weimarer wie deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts in besonderer Weise und findet städtebaulich ihren unübersehbaren Ausdruck. Diese exponierte und einzigartige Lage erzwingt geradezu eine strategische Verarbeitung des historischen Umfeldes, und zwar nicht isoliert, sondern in einer Zusammenschau. Folgende drei Gebiete und zugleich historische Schichten gilt es zur Kenntnis zu nehmen, zu interpretieren und aktiv weiter zu entwickeln:
- die Grün-, Kultur- und Sportachse aus der Weimarer Republik (»Kulturprojekt«),
- das »Gauforum« aus der nationalsozialistischen Zeit und
- den »Langen Jakob« aus der DDR-Zeit.
Die außerordentlich sensible, strategische Lage des künftigen Bauhaus-Museums ist eine Jahrhundertchance, aber auch eine Herausforderung und Verpflichtung. Die Entwicklung des Museumsumfeldes ermöglicht über die Verarbeitung der Vergangenheit einen großen Schritt in die Zukunft, sie eröffnet die Chance für ein neues Kulturprojekt des 21. Jahrhunderts, ein Zentrum der Moderne, das die Altstadt bereichert, nicht mehr belastet. Und sie wird die über Jahrzehnte gering geschätzte Jakobsvorstadt revitalisieren. Um diese einmalige Chance nutzen zu können, bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Umfelds des künftigen Bauhaus-Museums in Weimar, die die Stadt, das Land, die Universität und weitere Institutionen und Interessierte einbezieht. Die Ausstellung versteht sich als Teil dieser notwendigen gesellschaftlichen Diskussion.